Ende September war es soweit: Axel Rudi Pell schaute im Norden vorbei, um gemeinsam mit seiner Band das neue Album ‚Mystica’ vorzustellen. Und Hamburg schien auf ihn gewartet zu haben, denn eine gute halbe Stunde vor Konzertbeginn ersehnte eine die Eingangstreppe herunterführende Warteschlange Einlass. Mit einer nahezu ausverkauften Markthalle war der Grundstein für eine gelungene Show sodann auch schon gelegt. Nun lag es an den beiden Bands, den Abend komplett zu machen.
Zunächst stand um Punkt 21 Uhr die Support-Band auf dem Plan, und das waren die wiederbelebten Niederländer Vengeance. Nach einem majestätischen Intro vom Band legten sie unter guten Soundbedingungen sogleich los mit ihrem gut gelaunten 80er-Jahre-Rock - und hatten selbst mächtig Spaß an ihrem dreiviertelstündigen Auftritt. Allen voran die quicklebendige und quietschfidele Ulknudel in Form von Sänger Leon Goewie: die Zuschauer animierend, augenzwinkerndes Posing, lauffreudig mit hohem Bewegungsradius und den Kontakt zum Publikum suchend. Meinen Geschmack haben Vengeance mit ihrer Musik zwar ehrlicherweise nicht getroffen, aber ihnen muss zweifelsfrei attestiert werden, dass sie der Einheizer-Rolle vollauf gerecht zu werden vermochten und somit das Publikum mit zunehmender Spielzeit problemlos auf ihre Seite ziehen konnten. Folgerichtig durften sie sich nicht ohne eine Zugabe verabschieden. Offensichtlich vor Freude darüber schüttete sich Leon zum Abschluss ein Bier über seine blond gelockte Haarpracht.
Die darauf folgende Umbaupause war mit gut 45 Minuten etwas lang bemessen, und vereinzelt waren schon leichte Unmutsbekundungen zu vernehmen; umso stärker war dann der Jubel, als die Pell-Rufe endlich erhört zu werden schienen und der Gitarren-Wizard mit seinen Mannen endlich die Bretter betrat. Der Einstieg war - nach obligatorischem Intro - mit ‚Fly To The Moon’ und ‚Strong As A Rock’ auch denkbar gut gewählt, um das Hamburger Publikum vom ersten Augenblick an mitzureißen. Insgesamt standen alte Songs gleichberechtigt neben neueren, wobei mein persönlicher Album-Favorit ‚Kings and Queens’ zu meiner Enttäuschung nur mit einem Song bedacht wurde. Doch ob nun das episch angehauchte ‚The Masquerade Ball’ oder der vorzügliche Titelsong der aktuellen Langrille: stets reihte sich ein Highlight ans andere. Gegen Mitte des Programms wurde dann ein Akustik-Set zum Besten gegeben - bestehend aus dem Kiss-Cover ‚Love Gun’ und ‚Oceans Of Time’. Für Abwechslung war also gesorgt; nicht zuletzt aufgrund der zusätzlichen Solo-Einlagen von Drummer Mike Terrana und Keyboarder Ferdy Doernberg, der sich zudem in ‚Call Her Princess’ auf der Bühnenmitte mit Axel instrumentell duellierte. Doch zuvor wurden die Wände der Markthalle samt Fans noch ordentlich gerockt mit den Live-Krachern ‚Tear Down The Walls’ und ‚Rock The Nation’.
An der erwartet soliden musikalischen Darbietung der Band gab’s natürlich nichts zu bemäkeln, schließlich handelt es sich hier um mehr als nur gestandene Musiker. Ein besonderes Lob aber gebührt Sänger Johnny Gioeli: Das agile Goldkehlchen vollbrachte live mit Leichtigkeit ebenso starke Leistungen wie auf CD, zeigte unermüdlichen Einsatz und strotzte nur so vor Lebenslust - dabei stets grinsend wie ein Honigkuchenpferd. Seine Erkältung war dem bis in die Zehenspitzen motivierten Sympathieträger zu keiner Sekunde anzumerken. Der Coolness und Lässigkeit ausstrahlende Axel bildete zusammen mit Basser Volker Krawzcak relativ dazu eher den Ruhepol, während Ferdy eine Art Mittelstellung einnahm, indem er eins seiner Keyboards mitunter drehte, es schulterte und mit ihm durch die Gegend schritt. Ein Erlebnis für sich waren überdies natürlich auch die typischen atmosphärischen Mittelparts, in denen Axel mit seinen melodisch-feinfühligen Soli glänzte und währenddessen zuweilen gleichermaßen entrückt wie verträumt dreinblickte.
Leider geht jeder schöne Abend einmal zu Ende. Doch als der blonde Ruhrpott-Rocker und seine Truppe nach der Zugabe ‚Fool Fool’ zum zweiten Mal von der Bühne abtraten, ließ das Hamburger Publikum sie noch lange nicht gehen - mit Rufen und Chören wurde die Band erneut zurückgeholt und spielte einen finalen Song. Nach nunmehr insgesamt zwei Stunden Pell-Power war dann endgültig Schluss. Bleibt festzuhalten, dass nicht nur die Fans am heutigen Abend ersichtliche Freude hatten, sondern auch sämtliche beteiligten Musiker.
Stefan Raehse