Reviews

Tanzmusik für Roboter

Label: SPV (2014)


Nach einem turbulenten Jahr 2013 legen die Moderatoren von Welle:Erdball schon zu Jahresanfang mit dem langerwarteten Album nach. Turbulent? Ja, denn neben dem 20-jährigem Jubiläum (vgl. Bericht) gab es gegen Ende des Jahres noch einen Schockmoment für die Fans: Plastique, langjährige 2. weibliche Stimme, verließ die Gruppe. Mit einem Castingwettbewerb auf der bandeigenen Seite hat man sich schnell um Nachwuchs bemüht. Mit Erfolg – auch wenn die Identität der neuen Stimme noch geheim bleibt. Was sich auch im Artwork des neuen Albums spiegelt: mehr als die Silhouette der Dame kriegen wir nicht zu sehen.

Immerhin 7 Jahre hat man auf ein neues volles Album warten müssen, da ist die Erwartunghaltung natürlich entsprechend hoch. Dass im Vorfeld angekündigt wurde, man wolle das beste Album der Gruppe produzieren, sorgte zudem für Zündstoff.
Um schon etwas vorzugreifen: ja, es ist gut geworden, das kann man nicht bestreiten. Dass es sich allerdings um das beste jemals produzierte Album des Senders handelt, darüber kann man jetzt geteilter Meinung sein. Wenn ich jetzt von „Moderatoren“ und „Sender“ rede, dann habe ich mich nicht im Genre geirrt: Welle:Erdball haben sich immer schon im Stil eines Radiosenders präsentiert (was sich bereits im bereits klassisch gewordenen Intro zeigt) und dieses Stilmittel konsequent durchgehalten. Folglich gibt es auch keine Sänger, sondern Moderatoren (zu denen übrigens auch der gute alte C64 gezählt wird, der immer wieder zur Klangerzeugung herangezogen wird).

Schon beim ersten Hören fällt auf, dass W:E nicht bei altbekanntem stehenbleiben, sondern sich wieder ein Stückchen entwickelt haben. Schon „Gib mir meine Zukunft wieder“, der erste Track nach dem Intro, kommt noch einen Ticken härter daher, als man es bisher gewohnt war. Das passt zur Konzeption des Albums, das passt wunderbar zum gesellschaftskritischen Text – aber bisweilen kratzten die elektronischen Elemente schon an meinem Hörvergnügen. Subjektiv hätte da ein Ticken weniger auch gereicht. „Flipperkönig“ kommt dagegen im Klassikergewand daher – klanglich dürften sich Welle:Erdball-Fans hier gut aufgehoben fühlen und ich bin mir recht sicher, dass der Track sich mit der Zeit live zu einer Alternative zu Aufheizern wie „Schweben, Fliegen, Fallen“ entwickeln wird. „Die Liebe der 3. Art“ war dann der erste Moment, an dem ich stockte. Zugegeben, tanzbar ist das bestimmt und passt damit auch zur Konzeption des Albums. Auch klanglich könnte man es jetzt nicht als völlig ab vom Schuss bezeichnen – die Verwandtschaft zu älteren Welle:Erdball-Tracks lässt sich durchaus sehen. Damit erreicht aber meine Toleranz leider ihre Grenze – zu süß, zu schmalzig. Das mag man jetzt als Geschmackssache sehen, vielleicht liegt es auch daran, dass ich im letzten halben Jahr eine innige Hassbeziehung zu allem entwickelt habe, was auch nur annähernd an Andrea Berg oder Helene Fischer (=akustischer Terrorismus) erinnert.
„Mimikry“ zeigt dagegen wieder die kreative Seite der Moderatoren: mit Hilfe eines Senso (die älteren Semester erinnern sich vielleicht an dieses Elektro-Spielzeug aus dem Hause MB) produziert, gibt es hier augenscheinlich leichte, fröhliche Kost. Der Schein trügt, wer sich auf den Text einlässt, der merkt schnell, dass es hier eine bitterböse Abrechnung mit Plagiaten und Kopien geht (selbst Themen wie Identitätsdiebstahl klingen stellenweise an). Im Sinne der Gesellschaftskritik geht es weiter mit „Ich mach mich schön“. An dieser bitterbösen Abrechnung mit dem Schönheitswahn der Gesellschaft und der Oberflächlichkeit bin ich dann – vielen Dank Repeat-Taste – erstmal hängen geblieben. „Die Roboter“ bietet dann klassischen Minimalismus – massiv verzerrte Stimme und einen eingängigen Grundrythmus (hier musste ich mehr als einmal an S.P.O.C.K. denken).
„Computersex“ zieht dann tempomäßig – grad im Vergleich zum vorhergegangenen Track – deutlich an. Honeys Stimme kann hier wieder glänzen und die Verspieltheit in der Klangerzeugung darf sich hier auch wieder ausleben.
„Herzschlag-Alarm“ beförderte mich dann erstmal zurück auf den Boden der Tatsachen. Alles was ich zu „Die Liebe der 3. Art“ gesagt habe, gilt auch hier. Allenfalls geht das süßlich hier noch einen Ticken weiter – Geschmackssache, mein Ding ist es nicht.
Warum man sich bei „Computerklang“ für gebrochenes Deutsch mit Akzent entschieden hat – ich weiß es nicht. Vielleicht liegt es ja an mir, aber für mich konnte da beim besten Willen keine Aussage des Tracks unterstrichen werden. Ich fühlte mich eher in eine Klasse mit Migrationshintergrund versetzt (Fack ja Göhte, anybody?). „Mensch gegen Maschine“ punktete da eher. Man fühlt sich praktisch sofort in die 80er zurückversetzt – auf eine definitiv gute Art und Weise. „Das Passwort“ zeigt sich besonders bei der Tonerzeugung wieder als „klassischer“ Welle:Erdball-Track. Ein wenig hätte man hier noch an der Tanzbarkeit arbeiten können, im aktuellen Gewand wirkt es bisweilen einen Ticken langsam. Hier schreit ein Track nach einem Hardstyle-Remix.
Beim nächsten Track zweifelte ich zunächst an meiner Tracklist. War das wirklich noch Welle:Erdball? „Des Wahnsinns fette Beute“ schlägt ungewohnt harte Töne an. Gerade das Intro erinnert eher an ASP oder gar Eisbrecher. An dieser Stelle überzeugt die musikalische Weiterentwicklung des Senders aber deutlich mehr als bei den Schlageranleihen: ja, hiervon will man wirklich mehr haben. „Ich bin aus Plastik“ kennt man bereits. Einen Tacken härter, als man das bisher kannte. Aber das Debüt von Plastiques noch namenloser Nachfolgerin (warum sonst hätte man gerade DIESEN Track aufs Album packen können) fällt gut aus. Stimmlich wirkt das etwas härter, betonter als im Original, was aber auch an der Abmischung liegen mag, überzeugt hat mich die Dame allemal. Etwas zwiespältiger empfand ich die Interpretation von „Die Gedanken sind frei“. Für mehr als ein „okay“ reicht es hier leider nicht – zu viele Interpretationen des Liedes gibt es mittlerweile einfach und ich halte diese schlichtweg nicht für die gelungenste.
Dagegen kann das titelgebende „Tanzmusik für Roboter“ wieder punkten. Allein die verzerrten Teile haben mich zu Beginn irritiert. Nach mehrmaligen Hören empfand ich sie aber bei weiten nicht mehr so störend, sondern als interessanten Kontrapart zum klaren Gesang.
Insgesamt wird es nicht weniger als 4 verschiedene Albumversionen geben, die mit unterschiedlicher Ausstattung und z.T. mit Zusatztiteln daherkommen. Wenn es rein ums Liedgut geht, so würde ich der edlen Vinyl knapp den Vorzug geben. „Die neue Weltordnung“ überzeugt mich einfach etwas mehr, als dies „Vielen Dank für die Information“ oder „Ich hab dich im Netz gesehen“ gelingt. Letztere sind zwar gute, bodenständige Tracks, die – besonders bei „Ich hab dich im Netz gesehen“ -  als „typisch“ Welle (sofern man bei soviel Abwechslung und Experimentierfreude überhaupt von sowas sprechen kann) erkennbar sind. „Die neue Weltordnung“ versprüht aber soviel Charme und versetzt so gekonnt in die alten Zeiten zurück, dass ich hier um den ausgelutschten Slogan „weniger ist mehr“ nicht herumkomme.

So, einfach wurde es nicht für mich, ein Urteil abzugeben. Offen gestanden war ich anfangs wirklich recht enttäuscht von dem, was geboten wurde. Tatsächlich muss man dem Album sicherlich mehr als einen Lauschdurchgang zugestehen – bei manchen Tracks hinterlässt der erste, oberflächliche Hördurchgang erst mal nur ein schales Gefühl. Allerdings musste ich auch feststellen, dass ich einigen Liedern  mit meinem Ersturteil nicht wirklich gerecht wurde. So manche – gerade auch textliche - Perle versteckt sich dann doch ganz geschickt. Positiv anzurechnen ist den Jungs und Mädels denn auch die fortgesetzte Experimentierfreudigkeit: MBs Senso, der Nintendo DS lite oder auch der altbekannte C=64, nichts ist davor gefeit, als Klangerzeuger herzuhalten.
Dem – bös formuliert – Schlageraspekten der Scheibe kann ich allerdings wenig abgewinnen. Andererseits muss man auch anerkennen, dass das auch zu W:E gehört. Sie auf harte Elektroklänge zu reduzieren – so sehr mir die entsprechenden Lieder auf dem Album auch gefallen haben – hieße, sie nicht mehr als Welle:Erdball zu haben.
Damit bleibt es zwar nicht das beste, aber immerhin ein gutes, ein hörenswertes Album, das zwar etwas abverlangt, einen aber für seine Geduld auch belohnt.
In Abwandlung eines Fußballermottos: Das nächste Album ist immer das beste Album!
7,5/10

KoJe