Reviews

Genesis vs. Stiltskin

Label: Soulfood Music (2011)

Ein wahrhaft mächtiges Werk hat sich Ray Wilson hier aus dem Ärmel geleiert! Normalerweise wäre er nur mit der neuen Scheibe seiner Band Stiltskin ums Eck gekommen, aber seine letztjährige Stipvisite in unser östliches Nachbarland wurde fürs dortige Fernsehen gefilmt und gleich noch in guter Soundqualität aufgenommen. Was also lag näher, als ebenfalls seine Stiltskin-Coverversionen von Genesis-, Peter Gabriel- und Phil Collins-Klassikern zusammen mit einem kleinen Streicherensemble, genannt The Berlin Symphony Ensemble, dem somit höchstwertigen Package als Bonus beizulegen?

Zur Einzelbewertung: Es stimmt schon traurig, dass ein toller Sänger wie Ray Wilson wohl den Rest seines Lebens unter dem Deckmäntelchen des ehemaligen Genesis-Sängers um den Globus in mittleren und kleinen Hallen touren muss. Dabei war er ja wirklich nur für die letzte und deutlich unterbewertete Scheibe "Calling All Stations" dabei. Seine eigenen Songs sind dabei vielfach besser und bedienen ein wundervolles Gebiet, irgendwo zwischen hemdsärmeligem Alternative Rock, Britpop und einem Hauch von Progressive Rock. Die neue Scheibe, die den individuellen Titel "Unfulfillment" trägt, zeigt diese Misere sehr deutlich: Von den vier enthaltenen Tonträgern, wird diese Platte mit großem Abstand von den Käufern am wenigsten gespielt werden. Und das ist sehr schade, denn die frischen, lebhaften und sentimental-gefühlvollen Songs haben eigentlich besseres verdient!

Kommen wir also zur Abteilung "Worauf alle gewartet haben". Selbst ohne mein beliebtes Phil Collins-Bashing zu betreiben (wie sagte Bart Simpson in einer Folge so schön: "Mir geht es wie Phil Collins: Früher war ich ein Schlagzeuger, heute bin ich ein Nichts!") kann man nur zu einem Schluss kommen: Die Genesis Reunion mit Phil Collins war nicht nur unnötig, sondern geradezu ärgerlich! Ray Wilson ist der um Welten bessere Sänger für diese Band, da er echtes Feeling in die Songslegen kann, selbst in die der Synthiepopära von Genesis. Die Band, die einst Prog-Klassiker wie 'Supper's Ready' am Fließband geschrieben hatte, hatte nach dem Weggang von Collins noch einmal die unverdiente Chance, musikalisch relevant zu werden. Ansatzweise hat sie das mit "Calling All Stations" auch getan, dann jedoch, wegen der ausgebliebenen großen Charterfolge das Handtuch sofort und mit ihm den neuen Sänger geschmissen. Hier zeigt Ray Wilson, mit welchem Charme und welcher Kraft man auch die im Original dümmlichsten Genesislieder retten kann. Selbst eine Nullnummer wie 'In The Air Tonight' kann als schlichtes Lagerfeuerlied mit der akustischen Gitarre plötzlich begeistern.

Man kann Ray Wilson von dieser Stelle aus nur wünschen, dass er die Dämonen seiner Genesis-Zeit bald hinter sich lassen kann und dass sein Publikum endlich auch wieder seine eigene, viel bessere Musik hören wird!

Frank Scheuermann