Reviews

Sharks

Label: SPV (2002)

Gelegentlich wird man traurig, wenn man an verpasste Chancen und vertane Möglichkeiten erinnert wird. Besonders sentimental wird man, wenn dies auf einem Gebiet geschieht, das stark emotional besetzt ist, wie z.B. bei der Musik. UFO stellen eine solche verpasste Gelegenheit dar: durch musikalische Qualitäten und schier unglaubliches Talent im Sektor Songwriting müsste diese Band seit ihrer Gründung Ende der 60er Jahre ununterbrochen zu den Verkaufsgranaten im harten Rockbereich gehören.
Begeben wir uns nun auf eine kurze Zeitreise: es ist das Jahr 1979, wir sind auf einer Klassenparty, 8. Schuljahr. Der Autor dieser Zeilen gibt sich das erste Mal in seinem Leben exzessivem Alkoholkonsum hin. Ein Klassenkamerad hat von seinem älteren Bruder eine Live Doppel-LP mitgebracht, die es an diesem Abend auf Heavy Rotation bringen sollte. Der Name der Scheibe: „Strangers In The Night“; der Name der Band: UFO. Wer im zarten Alter von 13 Jahren das Killer-Riff des Songs ‚Rock Bottom’ auf voller Lautstärke gehört hat, der ist auf alle Zeiten dem harten Rocksektor verfallen! Der Wermutstropfen damals: der phantastische Gitarrist dieser britischen Band, der Deutsche Michael Schenker, hatte nach jahrelangen Streitereien mit Phil Mogg, vocals, gerade die Gruppe verlassen, um mit seinem Bruder Rudolph (guitar, Scorpions) gemeinsame Sache zu machen. Ein schrecklicher Verlust für die Hardrock Szene.

Zeitsprung: Reunion-Tour von UFO in der „Strangers In The Night“-Formation 1994/95:. Endlich, denkt sich der Fan, erwachsene Menschen, die sich und ihre Egotrips im Griff haben. Dann Ernüchterung, Drummer Andy Parker wirft das Handtuch, Paul Raymond (keys, guitar, vocals) wird gefeuert und die Herren Mogg und Schenker brüllen sich auf der Bühne an und liefern unsägliche Shows ab, weil sie zu sind wie die sprichwörtlichen Strandhaubitzen. Dem Fan möchte es das Herz zerreißen. Und jetzt? Eine CD liegt im Briefkasten. Sie ist mit den Lettern „U“, „F“ und „O“ beschriftet. Die Musik: brillanter Hardrock mit leichtem Blueseinschlag. Wie immer die wichtigste Zutat: Phil Moggs Stimme, die mehr Soul und Feeling hat, als sämtliche stark pigmentierten Freunde, die um brennende Mülltonnen herumstehen und / oder von MTV / VIVA gepusht werden. Refrains wie aus dem Bilderbuch (z.B. ‚Dead Man Walking’), wenn Mogg seine Geschichten aus Mitte und Randbereich des menschlichen Lebens vorträgt. Wenn er über seine Altrocker-Erlebnisse mit Steve McQueen und James Dean vorträgt (natürlich fiktiv...) dann ist man geneigt, ihm zu glauben. Michael Schenkers Gitarrenspiel ist zwar nicht mehr ganz so flink wie noch vor einigen Jahren, aber sein Gespür für tragende Riffs und starke Melodiebögen bei den Soloteilen verblüfft immer noch. Zwar sieht er mittlerweile aus wie Papa Schlumpf auf Sozialhilfe, aber man muss sich die Bilder im Booklet ja wirklich nicht übers Bett hängen...(die Natur hat sich Herrn Schenker nicht als Bartträger vorgestellt, er hingegen sieht die Sache anscheinend völlig anders...). Getragen wird die Platte wie schon „Covenant“ vor zwei Jahren, durch die solide Rhythmusarbeit von Ur-Besatzungsmitglied Pete Way, bass, und Aynsley Dunbar, drums, (ex-Zappa, ex-Bowie und ca. 5 Mio andere Bands...). Abwechslungsreichtum ist Trumpf, von kurzen Instrumentalstücken über Blues- bzw. Southern-Rock-inspirierte Nummern ist alles vorhanden. Meine persönlichen Favoriten sind ‚Serenity’, ein wundervoll eingängiger Song im leicht abgebremsten Midtempo-Bereich und ‚Quicksilver Rider’, der mich mit seinem mystischen Text ein wenig an „Sympathy For The Devil“ von den Rolling Stones erinnert. Natürlich ist „Sharks“ keine zweite „Force It“ (1975) oder „Obsession“ (1978), aber sie ist es allemal wert, einen Käufer zu finden.

Frank Scheuermann