Label: keine Auswahl (2015)
Zeitgenossen der Rolling Stones waren sie. Sie schrieben mit "S.F. Sorrow" die erste Rockoper der Welt (noch ein halbes Jahr vor "Tommy" von The Who), sie waren die langhaarigsten, versifftesten Radaubrüder der frühen und mittleren 60er Jahre. David Bowie hatte deren Sänger Phil May in seinem persönlichen Telefonbuch unter "G" wie "Gott" gelistet. Und trotz alledem und ihrem Einfluss auf die britische Rockmusik, haben es die Pretty Things niemals geschafft, die Breitenwirkung zu erziele, wie ihre Zeitgenossen von den rollenden Steinen und andere. Vielleicht lag es am sich stetig drehenden Besetzungskarussell. Zum Teil aber auch an der sich beständig wechselnden stilistischen Ausrichtung: Rumpeliger Rhythm'n'Blues, Psychedelia, Hardrock, Glam, Pop - vielleicht waren das und die häufig jahrelangen Wartezeiten zwischen zwei Alben der Grund für den ausbleibenden Erfolg.
Aber jetzt, im Jahr 2015, müssten es die Mannen um Phil May und Dick Taylor eigentlich schaffen. Zumindest kann es jetzt nicht an der auf dem neuesten Silberling dargebotenen Musik liegen. "The Sweet Pretty Things (Are In Bed Now...)" besticht durch eine Unmittelbarkeit, wie ich sie seit vielen Jahren bei keiner anderen Rockplatte gehört habe. Das mag daran liegen, dass die komplette Scheibe live im Studio eingespielt worden ist. Sie klingt, als sei sie irgendwann zwischen 1967 und 1969 aufgenommen worden (das ist positiv gemeint, bezüglich der Vibrations!). Hätte man damals diese Nummern nach "S.F. Sorrow" nachgelegt, hätte man die Charts über Monate angeführt und wäre jetzt Legende. Vermutlich wird das im Jahr 2015 nicht mehr passieren. Aber die Pretty Things haben mit diesem ultrastarken Alterswerk bewiesen, dass man auch jenseits der 70 noch mit Volldampf eine Hammerscheibe abliefern kann, die Maßstäbe zu setzen vermag!
Frank Scheuermann
9/10